Am liebsten hielt sich mein Opa Josef im Garten auf, bei Wind und Wetter. Und er schnupfte gerne Tabak. Das sind meine Kindheitserinnerungen. Ich war noch sehr klein. Mein Opa war Hauer auf der Zeche Leopold. Meine Mutter, jüngster Spross und noch sehr klein, kann sich noch daran erinnern, als mein Opa noch auf’m Pütt oft Doppelschichten fuhr, dass es früher immer einen besonderen Waschtag gab, an dem die Bergmannsklamotten eingeweicht und stundenlang gereinigt werden mussten. Seine beiden Söhne arbeiteten später auf der Zeche und einer von ihnen lebte mit seiner Familie in der Zechensiedlung direkt gegenüber vom Bergwerk Fürst Leopold. In meiner kindlichen Erinnerung kleine Hexenhäuschen, mit sehr kleinen Räumen. Zwei Generationen lebten dort unter einem Dach.
Und eine meiner Tanten hatte noch sehr lange einen alten Kohleofen, den sie mit der Kohle befeuerte, die die Bergmänner für den Hausbrand bekamen. Sie kochte lange noch auf Kohle, sie wollte sich nie wirklich an den Elektroherd gewöhnen.
Jahre später, wenn wir Fahrradtouren von Wulfen nach Lippramsdorf machten, sah man von weitem den Förderturm von Auguste Victoria. Gedanken machte ich mir als Kind um den Bergbau überhaupt nicht. Der war einfach da. Die Fördertürme gehörten für mich einfach zum Landschaftsbild des Ruhrgebiets dazu. Genauso wie die Schornsteine und der Rauch der Kohlekraftwerke.
Dass Männer Schicht um Schicht zu Tausenden tief in die Erde einfuhren, darüber dachte man als Kind nicht unbedingt nach.
Und ich wollte wie viele meiner Generation, die die Möglichkeit hatten, zu studieren, weg aus dem industriellen Ruhrgebiet, in andere Städte ziehen, die Welt entdecken, im Ausland leben.
Ich hätte niemals gedacht, dass ich viele Jahre später, eben für diesen Film in den Förderkorb dieses Schachtes 8 von Auguste Victoria steigen werde, um mich gemeinsam mit dem erfahrenen Filmemacher Werner Kubny und dem Dream-Team der Herausforderung zu stellen, die letzten Jahrzehnte des Steinkohlebergbaus zu dokumentieren.
Im Förderkorb rattern wir 1.200 Meter tief in die Erde, gute 9 Meter pro Sekunde. Schwarzes Nichts huscht in rasender Geschwindigkeit an einem vorbei, leichter Druck auf den Ohren. Ein Klingeln ertönt. Der Aufzug kommt unsanft zum Stehen. Und dann tauchen wir in eine ganz andere Welt ein, eine Stadt unter der Stadt. Mit riesigen Stollen, Neonröhren.
Ich bin die einzige Frau, hier unten gibt es nur Männer. Wir sind mit dicken Schuhen, Schienbeinschonern, Handschuhen, Helm und feuerfester Unterwäsche unterwegs. Zugeschnürt mit breiten Gürteln, an denen die schwere Batterie für die Grubenlampe und der CO2-Filter hängen, zwängen wir uns in die Schwebebahn, Dieselkatze genannt, die durch die Stollen ruckelt. Dennoch ein Luxus. Die Kumpel laufen zum Teil kilometerweit an ihren Arbeitsort, „fahren“ nennen sie das unter Tage. Hier riecht es anders, die Geräusche sind ganz eigen, und da ist eine stetige Zugluft, das Wetter, die lebensnotwendige Frischluftzufuhr aus den Schächten.
Ich kann nur erahnen, was es bedeutet hier über Jahre zu malochen. Vor Kohle ist es immer noch laut, dreckig und heiß, vor Kohle oft weit über 30 Grad, und das in dicken Klamotten. Die Kumpel leisten hier immer noch Knochenarbeit.
Ich ziehe den Hut und bin dankbar, dass sie uns in Ihre Welt gelassen haben. Dankbar für so viele gute Gespräche. Hinter wie vor der Kamera, nicht nur unter auch über Tage. Dankbar dabei gewesen sein zu dürfen, bevor die Zugänge der letzten beiden Bergwerke 2018 Deutschlands unwideruflich zubetoniert werden.
Die Kumpel verlieren eine Liebe, nicht aber ihre Werte. Dieses Gefühl von Zusammenhalt, in einem Stollen mit über einem Kilometer Berg über dem Kopf. Dazu die noch immer nicht einfachen Bedingungen. Sowas schweißt zusammen. Jeder gibt auf den anderen Acht. Und wer einmal Untertage geackert hat, der trägt dieses Miteinander in sich. Auch Jahre nach der letzten Grubenfahrt, egal welche Generation.
Da sind auch die Bergmannsfrauen, die ihren Männern zu Hause den Rücken frei gehalten und jeden Tag hart geschuftet haben, um das Lebensgerüst aufrecht zu halten.
Es sind die Menschen aus verschiedenen Generationen, die sich jeder auf seine Art mit dem Bergbau verbunden fühlen, die uns im Film durch Zeit und Raum mitnehmen, um ihre Geschichte und die des Bergbaus zu erzählen. Dabei werden nicht nur die Leistungen nach dem II. Weltkrieg gewürdigt, sondern auch die harten Kämpfe ums Überleben der Zechen bis hin zum nahenden Ende einer bedeutenden industriellen Epoche in Deutschland. Immer wieder wütende Proteste, irgendwann Resignation, aber dennoch der Kampf auf allen Seiten um eine sozialgerechtes Vorgehen.
Und nun? Stillstehende Fördertürme werden zu Denkmälern, Halden zu Kunst-und Kulturflächen, genutzt von vielen jungen Menschen. Ein neues Ruhrgebiet.
Der Bergbau steht für die Vergangenheit des Ruhrgebietes. Aber er hat nicht nur die Wirtschaft Deutschlands über viele Jahre mit angekurbelt, aus ihm ist auch die Basis für eine bessere Zukunft der Region erwachsen. Industriezweige des Bergbaus haben den Wandel der Zeit mitgestaltet, viele junge Menschen aus der Region haben auf irgendeine Weise Verbindung zum Bergbau und tragen die Philosophie des Kumpels in sich. Und ich habe die Liebe zu dieser Region und den Menschen wiederentdeckt.
Und noch etwas ist mir über die lange Drehzeit bewusst geworden: Unten ist egal wer an welchen Gott glaubt. Integration wird nicht diskutiert, sondern man ist Kumpel, jeder muss auf den anderen aufpassen, jeder packt mit an. Herkunft interessiert da nicht. Auch wenn der Ton untereinander schon mal rau ist.
Es war ein außergewöhnliches Erlebnis gemeinsam mit Werner Kubny und dem Team eine Reise durch diese bedeutenden Jahre des Nachkriegs-Bergbaus bis heute anzutreten.
Werner Kubny hat nicht nur als guter Filmemacher, sondern auch als Produzent diesem Film, dem Team, den Mitwirkenden und mir Raum und Zeit gelassen, sich aufeinander einzuschwingen, begleitet von einer erfahrenen und weitblickenden Redakteurin, Beate Schlanstein. Und das hat in der schnelllebigen Fernseh- und Filmwelt heute Seltenheitswert und gibt dem Film seine besondere Essenz. Danke. Danke auch der RAG für eine großartige Unterstützung dieses Projektes.
Petra Neukirchen
Köln, den 26.09.2017